Samnaun und seine Beziehungen zum Engadin
Die Geschichte Samnauns ist über hunderte von Jahren identisch mit jener seiner Stammlande. Beide Talschaften standen unter demselben Untertanenverhältnis herrschaftlicher Ge-schlechter. Mit dem Jahr 1529, dem Beginn der Reformation im Engadin, nahm aber mancher Zwist zwischen Samnaun und Ramosch seinen Anfang. Währenddem in Samnaun die Mehrheit katholisch blieb, ging in Ramosch die ganze Gemeinde zum reformierten Glauben über. Diese konfessionellen Unterschiede waren über ein Jahrhundert lang vermeintlicher Grund zu Streitigkeiten. Die Ursache der Unstimmigkeiten lag jedoch in der politischen Abhängigkeit Samnauns Ramosch gegenüber. Ramosch war Hauptort. Samnaun wurde von dort aus in staatlicher und religiöser Hinsicht durch ungerechte Verträge und Verordnungen geknebelt. So sollen beispielsweise den Katholiken Samnauns, die Ende des 16. Jahrhunderts etwa zwei Drittel der Bevölkerung ausmachten, durch diktatorische Verfügungen sogar in der Anstellung ihrer Geistlichkeiten Fesseln angelegt worden sein.
Die evangelische Kirche hatte in Samnaun von Anfang an ein hartes Brot zu essen. Im Jahr 1577 soll die erste evangelische Gemeinde in Samnaun bestanden haben. die ersten Jahre waren offenbar recht günstig für den neuen Glauben. Eine schlimme Zeit für die Protestanten kam mit dem Überfall durch die Österreicher im Jahre 1620. Sie drangen bis nach Compatsch vor, erschlugen wer ihnen in die Hände fiel, plünderten alles, führten das Vieh weg und brann-ten die Wohnstätten nieder. Dann setzten sich unter dem Schutz der österreichischen Waffen die Kapuziner fest und schalteten im Tal, als ob die Kirche, die bisher beiden Bekenntnissen gedient hatte, jetzt nach Vertreibung des evangelischen Pfarrers ihnen allein gehörte. Die Ka-puziner wurden von Österreich finanziell unterstützt. Und zwar erhielten sie einen monatlichen Zuschuss aus der Kasse des Zollamtes Finstermünz. So konnten sie 1638 in Innsbruck eine Glocke giessen lassen und gaben ihr die triumphierende Inschrift, sie sei eine Frucht des durch Kapuziner wiederhergestellten Glaubens. Bald kam eine weitere Glocke hinzu, so dass in Compatsch nunmehr ein dreistimmiges Geläute, das bis 1922 seinen Dienst tat, die Gläubigen zu den Gottesdiensten rief. Die Kapuziner versuchten auch in politischer Hinsicht, in Samnaun etwas zu bewirken. So musste 1647 der im Tal wirkende Pater Samnaun verlassen, weil er die Samnauner aufforderte, sich unter den Schutz Österreichs zu stellen und sich von den Drei Bünden loszusagen.
Was die politischen Abhängigkeiten von Samnaun betrifft, so muss an dieser Stelle unbedingt noch ein Wort verloren werden. Die Samnaun durften zwar selbst ihren Vorsteher wählen. Die-ser musste aber von der Gemeinde Ramosch bestätigt und daselbst vereidigt werden. Der Vorsteher oder sein Vize musste ein Reformierter sein und die Würde des Vorstehers hatte jährlich zwischen Bürgern beider Konfessionen zu wechseln. Soweit wäre die Sache wohl geordnet gewesen. die oben beschriebenen Vorkommnisse brachten es jedoch mit sich, dass die verbleibenden reformierten Familien entweder zum katholischen Glauben übertraten oder ins reformierte Engadin auswanderten. So war es nicht mehr möglich, dass die genannten konfessionellen Bedingungen für die Bestellung der politischen Ämter eingehalten werden konnten. Von 1753 bis 1777 konnte Samnaun keinen einzigen reformierten Vorsteher stellen. Dies miss-fiel den Engadinern. So wurde kurzerhand durch Gerichtsbeschluss festgelegt, dass nunmehr reformierte Engadiner diese Amtsstellen besetzen sollten. Die eingesetzten verlangten in der Folge natürlich sämtliche Rechte. Sie wurden faktisch Bürger von Samnaun. Im Jahre1779 begann aus diesem Grunde ein langjähriger Streit, in dem es Ramosch vor allem um seine politischen Vorrechte im Tal ging. Samnaun war aber bestrebt, seine Freiheit und Unabhängig-keit zu erlangen. Fest und treu trachteten die Samnauner auch darnach, für ihren alten Glau-ben einzustehen und ihr Heimattal vom neuen reformierten Glauben wie von einer Krankheit zu reinigen. Samnaun ging schliesslich aus diesem Streit als mündige Gemeinde hervor. So wurden 1806 die ersten Gemeindegesetze niedergeschrieben.